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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 416 mal aufgerufen
 © Enno Ahrens Geschichten/Aphorismen/Zitate
Enno Ahrens ( gelöscht )
Beiträge:

29.09.2007 12:16
RE: © EA Befristete Zuneigung (Minitext zum Mauerfall) Antworten

Befristete Zuneigung

Als der Verwaltungsangestellte Hermann Krawutke die LPG-Arbeiterin Editha Pilokat ehelichte, war sie schon Ende Dreißig, eine „Übriggebliebene“, maskulin gebaut, schwarzhaarig, mit deutlichem Bartflaum in einem rotwangigem, fleischigem Gesicht. Der scheue Hermann hatte zwar von einer grazilen Schönheit geträumt, aber er war bereits über vierzig, dürr, kleinwüchsig und krumm, mit einer hässlichen Hakennase. Da konnte man keine Ansprüche erheben.

Er hatte vergeblich versucht, Editha für das zu begeistern, wofür nun mal sein Herz schlug, für die Poesie und die bildende Kunst. Er verzagte, denn diesen Dingen gegenüber erwies sie sich als undurchdringliches Bollwerk, und so zog er sich mehr und mehr von ihr in sich zurück, während sie enttäuscht ihren Tagträumen von einem handfesten Kerl, den sie sich eigentlich gewünscht hatte, nachhing.

Dann kam es zur überraschenden Grenzöffnung der DDR, dem Mauerfall. Am selben Abend noch fuhren sie in ihrem Trabi nach Berlin. Hermann und Editha erreichten problemlos das Westterritorium. Erst hier, im für sie exotischem Leuchtreklame-Flair, verloren sie alle Zweifel. Ihr Volk war wirklich frei. Und stürmisch fielen sie sich in die Arme. Eine viertel Stunde hielten sie sich fest umschlungen. Es war Monate her, als sie sich zuletzt umarmt hatten, und jetzt waren sie sich nahe wie nie zuvor.

Später erinnerten sie sich häufig daran. Jedes Mal fielen sie dabei in ein ratloses Schweigen, denn sie trauerten um dies sofort wieder abhanden gekommene Gefühl ihrer damaligen Seelenverwandtschaft, um dies innige Miteinander-Einssein, um diese kurzlebige Blitzliebe im Angesicht des Brandenburger Tores. Und sie wussten, die Grenzöffnung wird sich nicht wiederholen. Aber vielleicht käme ja ein Krieg . . .

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greatmum4 Offline




Beiträge: 2.558

01.10.2007 10:37
#2 RE: © EA Befristete Zuneigung (Minitext zum Mauerfall) Antworten

Traurig, wenn Menschen erst ein Unglück brauchen, um sich lieben zu können

Ich bin (West-) Berlinerin. Ich habe, obwohl ich zu dem Zeitpunkt nicht in Berlin wohnte, die manchmal schon an Hysterie grenzende Freude miterleben dürfen. Ja, noch heute bekomme ich Herzklopfen, wenn ich an die Tage des Mauerfalls zurück denke. Oder auch, wenn ich Berlin besuche und Stellen überqueren kann, die damals für West und Ost nicht zu überqueren waren. Das Freiheitsgefühl stellt sich dann wieder ein. Denn auch die Westberliner waren auf einer Art Eingeschlossene (vor Allem, wenn man Verwandtschaft 'drüben' hatte.

Wer von sich behaupten kann, er sei ohne Fehler - ist selbst einer!

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