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 © Enno Ahrens Geschichten/Aphorismen/Zitate
Enno Ahrens ( gelöscht )
Beiträge:

17.09.2007 19:43
RE: © Enno Ahrens - Diät für Theo Antworten

Diät für Theo

Ich war damals zwölf, in einem Alter also, in dem man bereits über die Dinge des Lebens nachdenkt, um sie zu verbessern oder zu verändern, wo es einem notwendig erscheint. Doch Tante Elfriedes Schweine zeigten sich äußerst eigensinnig meinen Reformplänen gegenüber, und die Sache wurde sogar lebensgefährlich.

Es geschah in den Sommerferien. Ich kehrte der Stadt frohgelaunt den Rücken und besuchte Tante Elfriede, die mitten in der Lüneburger Heide einen bescheidenen Bauernhof bewirtschaftete. Gegen Abend ging ich zu ihr in den Schweinestall. Ein stickig-kotiger Mief beleidigte meine Nase. Tante Elfriede schleppte die schweren Eimer mit dem Futter an die weißgekalkten Boxen heran und keuchte. Ihr kurzer runder Körper schob sich nur schneckenmäßig voran. Doch die kleinen Knopfaugen in ihrem ballonförmigen Gesicht bewegten sich munter hin und her.

Die Schweine drängelten sich ungeduldig an den Trögen und bäumten sich vom Fütterungsgatter gestützt auf. Entsetzliche Laute stießen sie aus wie blockierende Bremsen und betäubten für einen Moment meine Trommelfelle. Endlich hörte ich sie dann schmatzen. Erstaunt äußerte ich: „Mein Gott, sind die Viecher verfressen!“ Tantchen deutete mit dem Finger auf eines der Tiere und sagte stolz: „Dieses hier wird spätestens in sechs Wochen prall genug sein, um es zu schlachten. Besuch’ mich in den Herbstferien wieder. Dann wird es bereits als Dauerwurst und bester Schinken im Rauchfang meines Kamins hängen.“

In der Stadt war ich den Borstenviechern so fern und hatte mir niemals Gedanken über ihr klägliches Ende gemacht. Aber nun empfand ich so etwas wie Mitleid und antwortete schroff: „Der Schlachter, dieser Schurke, gehört in den Kamin!“ Tante Elfriede lachte, wobei ihre winzigen Augen in dem reichlichen Wangenspeck versanken. Sie schüttelte den Kopf und watschelte in die Küche. Und ich fühlte mich berufen, endlich etwas für den Tierschutz zu tun.

In der einen Box entdeckte ich ein Schwein in Einzelhaft. Fröhlich grunzte es vor sich hin. Durch eine Klappe an der Wand konnte man es in eine kleine quadratische Koppel nach draußen lassen. Es handelte sich um ein ausnehmend stattliches Tier, das seinen prallen Bauch auf kräftigen, gedrungenen Beinen in die Höhe stemmte. Ich betrachtete es nachdenklich und sprach: „Tantchen wird dich sicher bald ans Messer liefern, denn du bist ganz schön prall.“ Es schnarchte inzwischen und scherte sich nicht um meine Worte.

Ich bat Tantchen: „Ab morgen möchte ich die Schweine füttern.“ „Gut“, erwiderte sie, „warum sollst du dich nicht nützlich machen.“ So unterschlug ich dem dicken Borstenvieh einfach sein Futter und den Schlemmertrunk, um es einzuschrumpfen und abzumagern. Ich musste es an Schmalkost gewöhnen. Dazu besorgte ich mir einen Sack Möhren, nahm eine Handvoll davon und eilte zu der Koppel, auf der das wuchtige Tier in der warmen Abendsonne döste.

Dass ich es mit einem Eber zu tun hatte, bemerkte ich nicht. Er hieß Theo und galt als äußerst gefährlich. Geradezu ein zutrauliches Bild voller Behaglichkeit bot er. So sperrte ich das Holzgatter auf, betrat die mit Stacheldraht eingezäunte Koppel und schloss sie von innen wieder.

Frohgemut näherte ich mich dem Eber bis auf etwa drei Meter. Plötzlich riss er seine Augen auf und glotzte mich grimmig an. Die Nasenflügel schwollen bedenklich an. Ich spürte sofort, dass er es nicht auf die Möhren abgesehen hatte. Sie glitten aus meiner Hand. Pfeilgeschwind trieb es mich zu dem Verschlag. Leider blieb mir keine Zeit mehr, den Sperrriegel hochzuschieben. Theo war mir schon zu dicht auf den Fersen. Kühn hechtete ich zur Seite. Eine Staubwolke wirbelte auf. Theo krachte mit dem Schädel gegen das Holz und ging zu Boden, rappelte sich aber schnell wieder auf.

Inzwischen raste ich in die entgegengesetzte Ecke der Arena. Ich suchte den Boden nach irgendeinem Gegenstand ab, der mir zur Verteidigung hätte dienen können. Zu spät. Der Eber schoss schon wieder wie eine Ramme auf mich los. Abermals sprang ich zur Seite. Dabei zwickte er mich kurz in die Wade, die zwar unverletzt blieb, aber schmerzte. Hastig humpelte ich davon und stolperte. Unglücklicherweise verhakte ich mich dabei mit meiner Hose in dem Stacheldraht. Krampfhaft versuchte ich, mich zu befreien. Aber dieser verdammte Koloss baute sich erneut zu einem Angriff auf. Er schnaufte und stampfte vor Wut in den Sand. In seinen Augen zuckten lauter Blitze, die mich wie Gewehrkugeln trafen. Jetzt konnte ich ihm nicht mehr entkommen.

Doch jäh wandte er sich von mir ab. Aus dem Stall ertönte das hellklingende Klappern der Futtereimer. Die Klappe an der Hauswand hob sich, und er galoppierte durch die Öffnung. Sofort knallte die Luke wieder hinter ihm zu. Ich löste mich schließlich aus dem Stacheldraht und lief in den Stall. Tante Elfriede schimpfte, weil ich die Schweine nicht versorgt hatte. Ich schaute noch eine Weile dem schlemmenden Theo zu. - Ob er mir die Sache mit den Möhren noch verziehen hat?

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