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Dieses Thema hat 3 Antworten
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 Geschichten
mande ( gelöscht )
Beiträge:

02.01.2007 16:55
RE: Märchen von Oscar Wilde. Der selbstsüchtige Riese. Antworten

Der selbstsüchtige Riese

Jeden Nachmittag, wenn die Kinder aus der Schule kamen, gingen sie in den Garten des Riesen, um darin zu spielen.
Es war ein großer, wunderschöner Garten, mit weichem grünem Gras. Hier und da lugten aus dem Grase herrliche Blumen wie Sterne, und zwölf Pfirsichbäume standen da, die sich im Frühling mit duftigen Blüten blassrot und perlenfarbig übersprühten und im Herbst reiche Frucht trugen. Die Vögel saßen in den Bäumen und sangen so süß, dass die Kinder oft in ihren Spielen innehielten, um zu lauschen. "Wie glücklich sind wir hier!" rief eines dem andern zu.
Eines Tages kam der Riese heim. Er war bei seinem Freund, dem Werwolf von Cornwall, zu Besuch gewesen und sieben Jahre bei ihm geblieben. Als die sieben Jahre um waren, hatte er alles gesagt, was er zu sagen wusste, denn seine Unterhaltungsgabe war beschränkt; und so beschloss er, nach Haus in sein eigenes Schloss zurückzureisen. Da er nun heimkehrte, sah er die Kinder in seinem Garten spielen.
"Was macht ihr hier?" schrie er mit sehr barscher Stimme, und die Kinder liefen davon.
"Was mir gehört, gehört mir, und mein Garten ist mein Garten", sagte der Riese", das ist doch ganz klar, und ich erlaube keinem, darin zu spielen, außer mir selber. "Also baute er eine hohe Mauer ringsherum und stellte eine Warnungstafel auf.

Unbefugten ist der Zutritt
bei Strafe verboten!

Er war ein sehr eigensüchtiger Riese.
Die armen Kinder hatten nun keine Stelle, wo sie spielen konnten. Sie versuchten es auf der Straße, aber die Straße war so staubig und voll harter Steine, und sie mochten sie gar nicht leiden. Wenn die Schulstunden zu Ende waren, liefen sie immer und immer wieder um die hohe Mauer und sprachen von dem schönen Garten drinnen. Wie glücklich waren wir dort", sagte eines zum andern.
Dann kam der Frühling, und überall im ganzen Land waren kleine Blüten und kleine Vögel. Nur im Garten des eigensüchtigen Riesen blieb es Winter. Den Vögeln machte es keinen Spaß, darin zu singen, weil die Kinder nicht da waren, und die Bäume vergaßen zu blühen. Einmal steckte eine schöne Blume ihren Kopf aus dem Grase, aber als sie die Warnungstafel sah, taten ihr die Kinder so leid, dass sie wieder in den Erdboden schlüpfte und weiterschlief. Die einzigen, denen das alles gefiel, waren der Schnee und der Frost. "Der Frühling hat diesen Garten vergessen", riefen sie, "da wollen wir das ganze lange Jahr hier bleiben." Der Schnee bedeckte das Gras mit seinem großen weißen Mantel, und der Frost malte alle Bäume silberweiß. Dann luden sie noch den Nordwind zu ihrer Gesellschaft ein, und er kam. Er war in Pelze gepackt und brüllte den lieben langen Tag durch den Garten und blies die Schornsteinaufsätze herunter. "Das ist ein entzückendes Fleckchen", sagte er, "wir müssen den Hagel auffordern, dass er uns besucht." Also kam auch der Hagel. Alle Tage prasselte er drei Stunden auf das Dach des Schlosses, bis er die meisten Schieferplatten zerbrochen hatte, und dann rannte er in einem fort durch den Garten, so schnell er nur laufen konnte. Er war ganz in Grau gekleidet, und sein Atemhauch war wie Eis.
"Ich kann nicht verstehen, warum der Frühling gar so spät kommt", sagte der eigensüchtige Riese, als er einmal am Fenster saß und in seinen kalten weißen Guten hinausblickte. "Hoffentlich ändert sich das Wetter bald."
Aber der Frühling kam nicht, und auch nicht der Sommer. Der Herbst brachte goldene Früchte in jeden Garten, doch dem Garten des Riesen brachte er nichts. "Er ist allzu selbstsüchtig", sagte der Herbst. So blieb es dort beständig Winter, und Nordwind und Hagel, Frost und Schnee tanzten zwischen den Bäumen umher.
Eines Morgens lag der Riese wach im Bett; da hörte er eine liebliche Musik. Es klang seinen Ohren so hold, dass er dachte, des Königs Musikanten zögen vorbei. In Wirklichkeit sang nur ein kleiner Hänfling draußen vor dem Fenster; aber da der Riese so lange schon keinen Vogel mehr in seinem Garten hatte singen hören, erschien ihm das als die herrlichste Musik der Welt. Nun tanzte der Hagel nicht weiter über seinem Kopf herum, und der Nordwind brüllte nicht mehr, und ein köstlicher Duft schwebte durch das offene Fenster in sein Zimmer. "Ich glaube, jetzt endlich ist der Frühling da", sagte der Riese; und er sprang aus dem Bett und schaute hinaus.
Und was sah er?
Er sah ein höchst wunderbares Bild. Durch ein kleines Loch in der Mauer hatten sich die Kinder hereingestohlen und saßen nun in den Ästen der Bäume. In jedem Baum, den er sehen konnte, saß ein kleines Kind. Und die Bäume waren so froh, die Kinder wiederzuhaben, dass sie sich selber in Blüten gekleidet hatten, und sie wiegten ihre Arme freundlich über den Köpfen der Kinder. Die Vögel flogen hin und her und zwitscherten vor Wonne, und die Blumen guckten aus dem grünen Gras und lachten. Anmutig anzuschauen war das alles, nur in einem Winkel herrschte der Winter noch. Es war der entfernteste Winkel des Gartens, und dort stand ein kleiner Junge. Er war so winzig, dass er zu den Ästen nicht hinauflangen konnte, und er lief immerzu rund um den Baum und weinte bitterlich. Der arme Baum war noch ganz mit Reif und Schnee bedeckt, und der Nordwind schnob und brüllte über ihn hin. Steig herauf, kleiner Junge!" sagte der Baum und neigte seine Zweige, so tief er konnte; aber der Junge war zu winzig klein.
Und des Riesen Herz schmolz dahin, als er hinuntersah. "Wie eigensüchtig bin ich gewesen!" sagte er. "Jetzt weiß ich, warum der Frühling nicht hierher kommen wollte. Ich will das arme kleine Jungchen ganz oben auf den Baum setzen, und dann will ich die Mauer niederreißen, und in meinem Garten sollen die Kinder spielen immerdar." Er war wirklich sehr betrübt über das, was er getan hatte.
Also ging er auf Fußspitzen treppab und öffnete ganz sachte die Haustür und trat hinaus in den Garten. Doch als die Kinder ihn sahen, erschraken sie sehr und liefen alle davon, und im Garten wurde wieder Winter. Nur der kleine Junge rannte nicht fort, denn seine Augen waren so voll Tränen, dass er den Riesen nicht kommen sah. Und der Riese schlich sich hinter ihn und nahm ihn sanft auf seine Hand und hob ihn hinauf in den Baum. Und der Baum brach mit einemmal in Blüten, und die Vögel kamen und sangen in ihm, und der kleine Junge streckte seine beiden Arme aus und schlang sie um des Riesen Hals und küsste ihn. Und die anderen Kinder sahen, dass der Riese nicht mehr böse war, und sie kamen zurückgelaufen, und mit ihnen kam der Frühling. "Das ist nun euer Garten, Kinderchen", sagte der Riese, und er nahm eine große Axt und riss die Mauer ein. Und als die Leute mittags zu Markte gingen, sahen sie, wie der Riese mit den Kindern spielte, in dem schönsten Garten, den sie je erschaut.
Den ganzen Tag über spielten sie, und am Abend kamen sie zu dem Riesen, ihm gute Nacht zu sagen. "Aber wo ist euer kleiner Spielgefährte?" fragte er, "der Junge, den ich in den Baum gehoben habe?" Der Riese liebte diesen am zärtlichsten, denn der hatte ihn geküsst. "Das wissen wir nicht", antworteten die Kinder, "er ist weggegangen."
"Ihr müsst ihm bestellen, dass er morgen ganz bestimmt herkommen soll", sagte der Riese. Doch die Kinder sagten, sie wüssten nicht, wo er wohne, und sie hätten ihn nie vorher gesehen; und das machte den Riesen sehr traurig.



Jeden Nachmittag, wenn die Schule aus war, kamen die Kinder und spielten mit dem Riesen. Der kleine Junge jedoch, den der Riese liebte, ward nicht wieder gesehen. Der Riese war sehr freundlich zu den Kindern allen, aber er sehnte sich nach seinem ersten kleinen Freunde und sprach oft von ihm. "Wie gern würde ich ihn wiedersehen!" sagte er dann immer.
Jahre vergingen, und der Riese wurde sehr alt und schwach. Er konnte nun nicht mehr draußen spielen; so saß er in einem riesigen Großvaterstuhl und sah den Kindern bei ihren Spielen zu und ergötzte sich an seinem Garten. "Viele schöne Blumen habe ich", sagte er, "aber die Kinder sind die schönsten von allen."
Eines Wintermorgens, als er sich eben anzog, blickte er zufällig aus dem Fenster. Er hasste den Winter jetzt nicht mehr, denn er wusste, dass der Winter nichts ist als der schlummerte Frühling und dass die Blumen währenddes nur ausruhen.
Plötzlich rieb er sich die Augen vor Staunen und schaute und schaute. Es war auch wirklich ein zauberischer Anblick. Im entferntesten Winkel des Gartens war ein Baum ganz bedeckt mit lieblichen weißen Blüten. Seine Zweige waren von lauterem Gold, und Silberfrüchte hingen von ihnen nieder, und unter dem Baum stand der kleine Junge, den er geliebt hatte.
Die Treppe hinab lief der Riese in großer Freude und hinaus in den Garten. Er ging eilends über den Rasen auf das Kind zu, und als er ganz dicht heran war, rötete sich sein Gesicht vor Zorn, und er sagte: "Wer hat gewagt, dich zu verwunden?" Denn in des Kindes Händen waren die Male zweier Nägel, und die Male zweier Nägel waren an seinen kleinen Füßen.
"Wer hat gewagt, dich zu verwunden?" rief der Riese. Sag es mir, auf dass ich mein großes Schwert nehme und ihn erschlage."
"Nein!" erwiderte das Kind, "nein, denn dies sind die Wunden der Liebe."
"Wer bist du?" sagte der Riese, und eine seltsame Scheu überfiel ihn, und er kniete nieder vor dem kleinen Kinde.
Und das Kind lächelte auf zu dem Riesen und sprach zu ihm: "Einst ließest du mich in deinem Garten spielen; heut sollst du in meinen Garten mit mir kommen, der da ist das Paradies."
Und als die Kinder an diesem Nachmittag hereingesprungen kamen, fanden sie den Riesen tot unter dem Baume liegen, ganz überdeckt von weißen Blüten.

Mande

greatmum Offline




Beiträge: 7.842

02.01.2007 17:33
#2 RE: Märchen von Oscar Wilde. Der selbstsüchtige Riese. Antworten

Was für eine schöne Geschichte. Ich denke, die sollten wir in die Kinderecke verschieben. Der Schluss könnte Eltern helfen, Kindern zu erklären, dass man keine Angst vor dem Tod haben muss.

mande ( gelöscht )
Beiträge:

02.01.2007 18:10
#3 RE: Märchen von Oscar Wilde. Der selbstsüchtige Riese. Antworten

Ja, das ist eine gute Idee, mit die Kinderecke.

Mande

Gast ( gelöscht )
Beiträge:

03.05.2011 15:17
#4 RE: Märchen von Oscar Wilde. Der selbstsüchtige Riese. Antworten

:lachscar Wilde diese geschiehte hat mir beigebracht das ich nicht so lange weinen muss wen wer gestorben ist darüber bin ich sehr stolz
:kaffee nein:

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